Der Lernprozess

Wie er sich anfühlt

Der Lernprozess beim üben im flow kann im Wesentlichen als ein Vorgang des Füllens von „Gefühls- und Klanglöchern" beschrieben werden. Etabliert man zu Beginn des Übens einen Instrumentenkontakt, der kontinuierlich als angenehm empfunden wird, so fallen „klemmende“, nicht rund laufende Bewegungsabläufe schnell und deutlich auf. Es entsteht spontan das Bedürfnis, in allen Bewegungsvorgängen eine runde, weiche, störungsfreie Eleganz zu spüren.

Bildlich gesprochen fühlt sich eine nicht beherrschte Laufpassage an wie ein ungeschliffener Edelstein: Der Vorgang hat Ecken und Kanten. Das Üben richtet sich nun auf das fortwährende Polieren und Schleifen dieses Bewegungsvorganges, bis er alle störenden Kanten oder Gefühlslöcher im Ablauf verliert. Wird der Ablauf als vollkommen rund und angenehm empfunden, ist er gleichzeitig in seiner Ausführung gemeistert. Komplizierte Bewegungsabläufe werden so in einer spielerischen, gewaltlosen Weise äußerst gründlich durchgearbeitet und tief im sensomotorischen Körpergefühl verankert.

Was dabei trainiert wird: Implizites und explizites Wissen

Was dabei trainiert wird: Implizites und explizites Wissen

Menschen besitzen zwei sehr unterschiedlich arbeitende Lern- und Gedächtnissysteme: das implizit-prozedurale und das explizit-deklarative System. Im explizit-deklarativen System ist sprach- und wortbasiertes Wissen gespeichert. Mit diesem System können wir Fragen beantworten wie „Wie viel ist 2 x 2?“ oder „Was ist die Hauptstadt von Deutschland?“ Im implizit-prozeduralen System sind u.a. hoch komplexe Fähigkeiten gespeichert, die durch Sprache nicht adäquat ausgedrückt werden können, wie z.B. unsere Fähigkeit Fahrrad zu fahren. Prozedurales Wissen ist außerordentlich robust gegen Störungen und Verlernen – oder haben Sie je vergessen, wie man Fahrrad fährt?

Genau diese Art von Wissen benötigen wir auf der Bühne: ein körperbasiertes Wissen, das ohne Gedankentätigkeit spontan und flexibel abgerufen werden kann. Kulturell bedingt werden aber in westlichen Zivilisationen instrumentale Fertigkeiten in hohem Maße über das explizit-deklarative System gelehrt und gelernt, d.h. über sprachliche Regeln, technische Anweisungen und mechanistische Methodiken:

„Diese Übung 20x in dem Tempo, dann 20x in dem Tempo“, „ Denke an deinen rechten Ellbogen, achte auf…“ Damit einher geht ein tiefes Misstrauen sinnlichen Erfahrungen und solch „unklaren“ Parametern wie „Stimmigkeit“, „Empfinden“ oder gar „Wohlgefühl“ gegenüber.

Diese Überbetonung des deklarativen Systems im künstlerischen Lernprozess führt zu einer Reihe von negativen Folgeerscheinungen: Zunächst wird die Feinmotorik bei deklarativ bzw. mechanistisch gesteuerten Lernprozessen nur unzureichend mit all den subtilen Informationen gefüttert, die notwendig sind, um komplexe Bewegungen wirklich sicher im sensomotorischen Gefühl zu verankern.

Dies wiederum führt dazu, dass entsprechend das Vertrauen des Künstlers in sein prozedurales System nur unzureichend ausgebildet ist. Ein Eindruck, der übrigens durchaus berechtigt ist, sind viele Bewegungsvorgänge doch voller „Mikrolöcher“, d.h. voller feiner Informationsfehler, die beim traditionellen Üben in der Regel nie gefüllt werden und an denen dann oft zur großen Überraschung des Künstlers der Vortrag scheitert. Nicht wahrgenommene „Mikrolöcher“ sind auch der Grund, warum manche Stellen trotz jahrelangen Übens nicht besser werden.

Die ständige Benutzung des deklarativen Systems während des Lernens und das fehlende Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des prozeduralen Systems führen dann in Stress- und Beurteilungssituationen (Konzert/Probespiel) dazu, dass der Künstler den prozeduralen Modus verlässt und in den expliziten, sprachbasierten „Kontrollmodus“ springt - der leider vollkommen ungeeignet ist, schnelle und komplexe Bewegungen effizient zu steuern.

üben im flow füttert dagegen unmittelbar das implizit-prozedurale System mit allen notwendigen Informationen ohne Umwege und Störungen durch das „sprechende“ System. Es ist ein Lernprozess, der ausschließlich durch den sinnlichen Input gesteuert wird, sich von innen heraus selbst organisiert und vollkommen ohne Eingriffe des deklarativen Systems auskommt.
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Er erzeugt ein solides Vertrauen in das prozedurale System und eine tief verankerte Gewöhnung an seine konsequente Nutzung – auch und gerade auf der Bühne! üben im flow bedeutet also ein Instrument zu erlernen, wie damals das Fahrradfahren gelernt wurde: durch Versuch und Irrtum und über die Freude des sinnlichen Erlebens.

Um Missverständnissen vorzubeugen: üben im flow ersetzt nicht eine gute Instrumentaltechnik. Wer aber die Prinzipien des übens im flow verstanden und verinnerlicht hat, wird die jeweilige Instrumentaltechnik anders unterrichten, nämlich sinnlich, entdeckend und körperorientiert.

Was dabei im Gehirn passiert

Neurobiologisch basiert der Lernprozess beim üben im flow nicht auf einer mechanischen „Einprägung“ von Bewegungsvorgängen durch Wiederholung, sondern auf dem Lustempfinden, das erlebt wird, wenn Spiel und angestrebtes Ideal in Übereinstimmung kommen. Die Abspeicherung im Gehirn erfolgt im Moment der größten empfundenen Stimmigkeit zwischen Spiel und Ideal und ist begleitet von einer Ausschüttung von Endorphinen und Dopamin. üben im flow ist Lernen durch Lust!
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